Lieber Udo! Ein Brief von Textdichter Oliver Spiecker
Lieber Udo,
nun sind es schon zehn Jahre, und ich mag mich noch immer nicht daran gewöhnen. Aber wie du in so vielem besonders warst, hast du auch deine eigene Unsterblichkeit. Du bist und bleibst die innere Stimme, und deine Lieder sind lebendig wie die schönsten Arien aus Cosi fan tutte. Mozart hätte dich geliebt.
Am 11. Dezember 2014 hatten wir noch gemeinsam gefrühstückt, in deinem Einstein unter den Linden. Und die Pläne für das kommende Jahr waren groß. Du warst zu Gast in der Helene Fischer Show, und dein letztes Live-Lied hieß „Mein Ziel“. Dein letztes im Leben…
Zehn Tage später hattest du dein Ziel erreicht, nur viel zu endgültig!
Damals in Zürich wollte ich dich mit diesem Zettel überraschen: „Mein Ziel“, und du setztest dich prompt an dein Digital-Yamaha und wusstest aus dem Handgelenk die Melodie. Udo wie immer: Niemand spürte so sehr in den Worten die Töne wie du. Und niemand erkannte so lupenscharf die Schwachstellen in einem Text. Du warst dein bester Lektor und Dramaturg: der Zauberer und deine Dichter die Lehrlinge.
Es war irgendwann 1979, und ich staunte still in der fast leeren Berliner Philharmonie. Herbert von Karajan hatte dir „sein“ Orchester geliehen, und so saßen über hundert weltberühmte Berliner Philharmoniker auf der Bühne und du mit ihnen am Steinway: „Wort“! Dein erstes Lied mit großem Orchester. Und ich, der kleine Poet, war fassungslos und tief berührt. Das Album hieß „Udo 80“.
Jahrzehnte später packte dich die Angst vor der 80. Ich versuchte einen Trost mit Tony Bennett, der sich selber ein Konzert geschenkt hatte im ausverkauften Hollywood Bowl, zu seinem 87.! Es sollte nicht helfen… kurz vor Weihnachten traf uns alle der Schock: Der Titelsong „Mitten im Leben“ war plötzlich bittere Wahrheit.
Ich habe in all den Jahren manches schreiben dürfen, den Eurovision Song Contest für Désirée Nosbusch, die Goldene Kamera für Thomas Gottschalk, aber es ist mir größte Freude und Ehre, für dich Gedanken gefunden zu haben.
Merci, Génie!
Oliver Spiecker, Berlin, Januar 2024