Erinnerungen: Wer spinnt, wird nie alt
Oder: So kann’s kommen
Wer auf mich baut ist verlor’n,
Wer mit mir tanzt ist nie allein
Auf dem Seil ohne Halt.
Ich werd′ nie wieder geboren,
Bin nie der, den ihr meint.
Und vor allem – wer spinnt,
Wird nie alt!
Ich hab‘ genau so wie du
Meine Karte am Eingang bezahlt!
aus dem Lied „Deinetwegen“
Es war irgendwann im Jahr 1984. Ich saß zusammen mit zwei befreundeten Musikern in Mannheim im Studio, auf dem Tisch vor uns ein kleiner Berg mit Texten und Cassetten voller Songideen.
Wir planten Demos für eine Reihe von Rock- und Popsongs (ich mache mein ganzes Leben lang schon selber Musik).
Eine dieser auf dem Tisch liegenden Songideen trug den Titel ‚Meinetwegen‘.
Und dann meinte irgendwann einer meiner Musikerfreunde: „Eine schöne Idee für ein Chanson – aber, ist das wirklich etwas für unser Projekt? So etwas müsstest du an Udo Jürgens schicken …“
Wir lachten, machten ein paar witzige Bemerkungen – und arbeiteten weiter. Auf dem Heimweg dachte ich: ‚Mein Gott! Warum eigentlich nicht? Es kostet ein paar nette und freundlich formulierte Zeilen und ein kaum zu erwähnendes Porto‘.
Ein Münzwurf. Gesagt, getan.
Und dann vergaß ich das ganze Thema (das mag man jetzt glauben, oder auch nicht. Ich weiß, dass es so war …).
Wochen später klingelte das Telefon. ‚Guten Abend, hier ist Udo Jürgens …‘
Ich war damals sekundenlang absolut sicher, dass es sich um einen Telefonscherz handeln musste. Dass dem nicht so war, wurde dann aber schnell klar.
Wir unterhielten uns eine Weile, er meinte, ihm habe der Text zu ‚Meinetwegen‘ mehr als gefallen, und ob es noch weitere Texte gäbe, er würde sich freuen, wenn ich ihm eine kleine Auswahl zuschicken könnte.
Und abermals gesagt getan, aber dieses Mal vergaß ich das Thema – selbstverständlich – nicht.
Zwei Wochen später lud er mich nach Zürich ein, ‚wir sollten einmal miteinander reden …‘
Wir siezten uns anfänglich (eine der bemerkenswertesten Eigenschaften von Udo Jürgens war seine immer korrekte, stets eindrucksvoll höfliche und manchmal etwas aus der Zeit gefallen wirkende gentleman-like daherkommende Art. Ich gebe unumwunden zu, dass ich eher zu den Lederjacken tragenden Rockern gehöre. Wir haben uns trotzdem verstanden!), wir redeten über Musik und die Welt und bemerkten sehr schnell erstaunlich viele Gemeinsamkeiten hinsichtlich dessen, was ein Songtext kann, nicht kann, aber manchmal versuchen sollte. Und wir waren natürlich längst beim Du angekommen …
Und so wurde binnen weniger Stunden aus ‚Meinetwegen‘ ‚Deinetwegen‘.
Als ich an diesem Abend spät mit dem Zug nach Hause fuhr, hatte er mir noch zwei weitere Songvorlagen mitgegeben. ‚Kannst du auch englisch texten? Ich habe da eine wunderbare Sängerin, mit der ich ein Duett plane‘.
Die Hälfte des Textes von ‚Ich will, ich kann – I can, I will‘ ist während dieser Zugfahrt entstanden.
Dass aus diesem Treffen eine zwanzigjährige Zusammenarbeit entstehen würde, habe ich mir damals um nichts in der Welt vorstellen können.
Um manchen Text haben wir in den Folgejahren gekämpft und gestritten (Ich lass euch alles da, Wie im Himmel so auf Erden), bei manchen Texten wurde nicht ein Wort, nicht ein Komma geändert (In festen Händen, Die Krone der Schöpfung) und der ein oder andere Text ging in der Entstehungsphase eine Weile immer wieder durch den Fleischwolf ständig wechselnder und neuer Einfälle (Danke für den Abend, Mehr als nur vier Wände).
Die Jahre, die wir zusammengearbeitet haben, sind eine Zeit, die ich um nichts in der Welt missen möchte. Udos absolute Loyalität, was die Art der Arbeitsabläufe betraf, Treffen, die von wunderbarem Humor und endloser Fantasie geprägt waren und eine Organisation, die unmerklich und nahezu perfekt schnurrte wie das sprichwörtliche Schweizer Uhrwerk.
Wir wussten stets, dass es um Verbrauchslyrik geht, um den Moment.
Wenn der ein oder andere Satz, das ein oder andere Bild, der ein oder andere Gedankenanstoß ein wenig länger überdauert, sage ich: Danke schön!
Ich denke, er hätte das ähnlich gesehen.
Thomas Christen © 2023